10. Tag
Vom Valle Gran Rey nach Playa de Santiago?
(locko)
20. März 2007

Ja, ja, das Wetter. So viel Regen hatte ich zusammenhängend und beständig noch nie auf La Gomera erlebt. Auch der heutige Tag begann verregnet. Diesmal glich der Regen aber eher einem norddeutschen Landregen und war nicht mehr so heftig wie die Tage zuvor - vorerst. Ein Blick in die Berge des Valle Gran Rey hinauf verhieß aber nichts Gutes: Dunkle Wolken stauten sich dort regneten sich munter ab. Zum Niederschlag kommt heute auch ein kräftiger, stürmischer Wind, der die ganze Sache nocheimal richtig ungemütlich werden ließ. Für heute hatte ich die längste und anstrengenste Etappe geplant: Vom Valle Gran Rey über den Kirchenpfad, Barranco de Argaga, Gerian, La Dama, La Rajita, Alajero nach Playa de Santiago. Wegen des nicht mehr ganz so starken Regens faste ich den Entschluss, ersteinmal loszulaufen. Die Kleiderordnung wurde dem Wetter angepasst, so dass ich zumindest die Nässe nicht fürchten musste. Außerdem dachte ich die ganze Zeit an die liebgewonnene gomerische Wetterregel: Wenn auch auf der gesamten Insel die Welt untergeht, der Süden bleibt zumindest regenarm und vielleicht mal ausnahmsweise sonnig.

Die erste Hürde war jedoch kein Steinschlag hoch oben in den Bergen oder verschüttete Wanderwege, sondern lag quasi direkt vor meiner Haustür. Das Barranco de Valle Gran Rey war nicht wie sonst trocken und man konnte in ihm gemütlich entlang spazieren, sondern es war zu einem beachtlichen breiten, tiefen und wilden Bach angeschwollen. Er war zwischen zwei und vier Meter breit. Die Strömung hier so nah am Meer (La Calera) schien mir nicht gefährlich, allerdings war ein Durchwaten dennoch nicht ohne weiteres möglich - der Bach war einfach zu tief. Meine guten Meindl Bergstiefel sind zwar hoch, wasserdicht und gut eingewachst, all das nützte mir allerdings wenig, wenn das Wasser von "oben" hineinlaufen würde. Wasserdicht ist wasserdicht und dem Leder ist es egal, ob es kein Wasser hinein oder hinaus lassen sollte. Klitschnasse Füße zu einem so frühen Zeitpunkt wären ein guter Grund umzukehren gewesen. Allerdings kam mir auch hier wieder die Improvisationskunst der Einheimischen entgegen. Die hatten nämlich auf der gegenüberliegenden Bachseite Tiere zu versorgen (ich glaube es waren Schafe) und deshalb eine "Behelfsbrücke" gebaut, die ich nach längerem Suchen fand. Brücke ist vielleicht etwas zu viel gesagt, ein Stück Dach und ein paar zusammengenagelte Bretter, daraus bestand sie. Sie war wacklig, schien glatt, unvollständig und flößte schon auf dem ersten Blick nicht gerade Vertrauen und Zuversicht ein, dass man über sie den Bach trockenen Fußes überqueren könnte. Mit kleinen seitwärts gerichteten Schritten, einem Sprung von einem Stein auf den nächsten und nocheinmal ein kurzer Seitwärtsgang - so schaffte ich die Bachüberquerung schließlich und blieb unten herum erstaunlich trocken.

Beim Weiterlaufen malte ich mir unterschiedliche Szenarian aus, was mich wohl im Nachbarbarranco, dem Barranco de Argaga, erwarten würde. Hier fließt nämlich im Winter auch dann Wasser, wenn es längere Zeit nicht geregnet hat. Dann zwar wenig und die vielen Gumpen und Tümpel laden zu einer Erfrischung ein, wenn man allerdings schon kaum das Bachbett des Valle Gran Rey überqueren kann, was wäre bei diesem Wetter im Nachbartal los? Ich wurde aber dankenswerter Weise immer wieder durch den mal mehr, mal weniger kräftigen Regen und den stürmischen Wind abgelenkt und war somit zumeist damit beschäftigt, nicht irgendwo auszurutschen bzw. mir irgendetwas zu brechen. Ob das eine gute Idee war, heute loszulaufen? Der Camino de la Ermita (Kirchenpfad) war mein Aufstiegsweg. Der ist technisch auch bei diesem Wetter unschwierig. Man sollte lediglich ab und an einen Blick nach "oben" riskieren und die Ohren offenhalten. Steinschläge sind nämlich bei diesem Wetter auch hier zu erwarten. Ich tröstete mich damit, dass auch dieser Weg sich so langsam an den Regen gewöhnt haben müsste und das, was locker war, bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgegangen sein müsste. Was sich ferner als Problem herausstellte war der teils stürmische Wind, der beständig an mir herumzerrte, so dass ein Vorankommen häufig ein Balanceakt im wahrsten Sinne des Wortes war.

Irgendwann war ich aber oben und es begann zwischen kräftigen Regenschauern immer mal wieder sonnig zu werden. Von oben sah ich aber bereits die "Beschehrung" im Bachbett des Barranco de Argaga: Wasser, ganz viel! Ich lief ersteinmal weiter. Auf dem schlammigen Weiterweg zeichneten sich sehr gut Spuren ab von Wanderern ab, die kurz vor mir diesen Weg begangen haben müssen. Das selbe Profil war aber in meine Richtung und wieder zurück erkennbar - da wird doch wohl nicht jemand umgekehrt sein? Bis zum Barrancogrund war es nicht mehr weit und so lief ich weiter, um mir die Sache mal von Nahen anzusehen.

Es sah zunächst genauso hoffnungslos aus, wie zuvor im Bachgrund des Valle Gran Rey. Der Bach war nicht sehr breit, die Strömung augenscheinlich nicht sonderlich stark, dafür war er ziemlich tief, so dass man dort wohl nicht trockenen Fußes durchmarschieren könnte. Eine "Behelfsbrücke" hatte hier auch niemand gebaut. Der Vorteil war aber, dass immer wieder größere Felsbrocken aus dem Wasser herausragten. Ich müsste lediglich eine geeignete Route finden, über die ich den Barrancogrund überqueren konnte. Schließlich fand ich dann auch ein paar günstig liegende Steine, die ausreichend Fläche boten um über sie auf die andere Seite zu gelangen bzw. zu hüpfen. Ganz einfach war das nicht und mir zitterten das erste Mal nach langer Zeit wieder die Knie. Es wäre sehr unangenehm gewesen, hier, etwa ein einhalb Stunden vom Valle Gran Rey entfernt, mit schwimmenden Schuhen oder komplett durchnässt den Rückweg anzutreten. Womöglich würde ich dann auch noch krank werden, denn der Wind kühlte mich trotz Fleece- und Regenjacke ziemlich aus. Diese Vorstellung deckte sich nicht mit meiner ursprünglichen Idee von einem Urlaub.

Ich schaffte es schließlich den Bach zu durchqueren und wurde auch diesmal nicht nass. Weiter aufsteigend kämpfte ich mich durch Sturm und Regen bis nach Gerian. Hier war eine Wanderinfotafel, auf der mein Weiterweg eingezeichnet war. Wie vorher schon in San Sebastian konnte man auf der Karte keine Details erkennen, so dass ich meinen Weiterweg wohl auf eigene Faust suchen müsste. Auf dieser Wandertafel war zudem angegeben, dass bis nach Alajero noch neun einhalb zu laufen wäre. Meine Fresse, ich hätte mit allem, nur nicht damit gerechnet. Meine Erfahrung mit Zeitangaben auf Wandertafeln waren aber stets die, dass ich persönlich (wenn ich alle Wege problemlos finden würde) lediglich maximal zwei Drittel der angegebenen Zeit benötigen würde. Mir erschien das dennoch zu lang, denn schließlich war ich auf die im Süden spärlich fahrenden Busse für die Rückfahrt angewiesen. Es war zu diesem Zeitpunkt bereits elf Uhr, würde ich neun einhalb Stunden zugrunde legen, käme ich bei völliger Dunkelheit in Alajero an. An einen fahrenden Bus wäre dann nicht mehr zu denken.

Was also tun? Weitergehen, zumindest bis nach La Dama? Oder vielleicht doch die Route abbrechen und nach Chipude oder El Cercado aufsteigen? Ich beschloss zunächst weiter in Richtung La Dama zu laufen. Von dort fährt 15:30 Uhr ein Bus nach Chipude, von woaus man nach einiger Wartezeit (vielleicht in einer Bar, kein schlechter Gedanke) mit einem weiteren Bus zurück in das Valle Gran Rey fahren könnte. 18:15 würde der ab Chipude fahren. Ab Gerian gab es keinerlei Markierungen, Geländemarken oder Steinmännchen mehr. Ein sichtbarer Weg war auch nicht auszumachen. Auf meiner Suche versperrten mir dann auch noch ein Maultier und ein ziemlich großer bellender Hund den Weg. "Klasse" dachte ich, so durchnässt und zunehmend durchgefroren würde mich auch noch ein Hund beißen. Glücklicher Weise reagierte der sich aber ersteinmal am Maultier ab und jagte es vor sich her. Nachdem er das erledigt hatte, nahm er sich mich vor. Allerdings zunächst aus gebührendem Abstand. Er verfolgte mich aber, ohne mir dabei aber bedeutend näher zu kommen (ich ging dem äußeren Anschein nach gemütlich und relaxt weiter) und hörte nicht auf zu bellen. Ich fand keinen Einstieg für einen möglichen Weiterweg nach La Dama. Gerian wird nur noch von wenigen Menschen bewohnt, die sich bei diesem Wetter aber nicht blicken ließen. Ich konnte also auch niemanden ortskundigen Fragen. Ich lief zunächst eine kleine Straße entlang abwärts, weil in meiner Karte eingezeichnet war, dass der Weiterweg nach La Dama immer wieder diese Straße kreuzen würde. Irgendwann dachte ich, werde ich den Weg schon finden.

Ich fand keinen Weg und nach einer halben Stunde des Suchens entschloss ich mich, nach El Cercado über Chipude aufzusteigen. Das würde von meinem Standort aus ein etwa 300 Höhenmeter ansteigender Weg sein, für den man vielleicht eine Stunde benötigen würde. Der Aufstiegsweg war nicht steil und führte durch offengelassene Terrassenfelder. Auch hier bahnten sich kleine Bächlein ihren Weg. Weiterhin peitschte der Wind ordentlich Wasser in mein Gesicht - ganz schön zermürbend... Ich musste schon kurz vor Chipude gewesen sein, als ich wieder etwas ratlos an einer Kreuzung aus mehreren Wegen stand. Zwei Wege würden mit einiger Sicherheit nach Chipude führen - aber welcher war der kürzere? Ich traf in dieser Einsamkeit auf zwei Männer - Deutsche - die sich sehr sorgfältig und die Welt um sich herum vergessend dem Inhalt einer bauchigen Weinflasche widmeten. Sie standen bei diesem Mistwetter pudelnass neben ihren beiden Autos und tranken - ja war denn schon Siesta? Sie redeten miteinander und bedauerten zutiefst, dass die Kupplung des einen Autos wohl gerade ihren Geist aufgegeben hat. Wenn einer den Geist aufgibt, sollte man an anderer Stelle "Geist" nachfüllen, sonst läuft man eventuell Gefahr, dass das Raum-Zeit-Kontinuum aus den Fugen gerät. Und für das, was dann geschehen würde, hätte wahrscheinlich nicht einmal meine ängstliche, bereits lange verstorbene Großmutter väterlicher Seits ausreichend grauenvolle Phantasie. Beide waren bereits stark vom eingefüllten Geist beseelt (sprich angetrunken, um 12:30) aber sehr freundlich. Sie kannten sogar treffsicher den richtigen Weg durch das Regenchaos der Berge (wird ihnen an dieser Stelle wohl schon öfter passiert sein, dass ein Wagen liegen bleibt).

Irgendwann war ich in Chipude. Jetzt waren es noch etwa zwei Kilometer bis El Cercado, fast höhehaltend, also ohne große Auf- und Abstiegestiege bis El Cercado, wo ich auf den 14:00 Uhr Bus in das Valle Gran Rey warten wollte. Wie Chipude auch war El Cercado bei diesem Wetter nahezu ausgestorben. Keine Menschenseele war auf der Straße. Es war kalt (7 Grad), stürmisch, neblig und regnerisch. Ich setzte mich wie immer, wenn ich dort war, in die Bar Maria, trank einen Café solo grande, ein kühles Dorada und aß eine Brunnenkressesuppe (sehr lecker!!!). Der Wirtin musste irgendwie ein Informationsdefizit bei mir aufgefallen sein. Sie stellte mir die Nachrichten im Fernsehen an (Television Espana, glaube ich). Dort waren eindrucksvolle Bilder vom Schneechaos in Nordspanien zu sehen. Dagegen war das Wetter hier trotz des Regens nahezu paradiesisch (man kann sich alles schöntrink... äh -reden). In Marias Bar war es lauschig und gemütlich. Irgendwann brach ich in Richtung Bushaltestelle auf und wartete auf meinen Bus. Der kam und brachte mich in die relative Wärme des Valle Gran Rey zurück (immerhin 22 Grad), wo die Sonne schien.

Der Tag klang am Meer und in Gerardos Internetcafé aus. Vernünftige und lesenswerte Mails bekam ich nicht. Im Internet sah ich, dass in den Bergen Teneriffas und La Palmas ordentlich Schnee lag...

Alle Bilder sind von Thomas Hering. Sie können für nicht komerzielle Zwecke und unter Verweis auf den Urheber kostenfrei verwendet werden.