5. Tag
Durch den fast menschenleeren Süden nach San Sebastian
(locko)
15. März 2007

Auch als ordnungsliebender Rucksackreisender hat man es nicht leicht. Denn vor dem Lauf hat der liebe Gott das Rucksackpacken gestellt. Nach zwei Tagen am selben Ort - nämlich in Playa Santiago - wurde ganz schön viel Zeugs ungeordnet im Zimmer verteilt. Ein bisschen bin ich eben auch ein fauler Sack. Weil ich aber nicht so viel Klamotten mitgenommen habe und ich den ganzen Kram vor der Abreise (also zu Hause) innerhalb weniger Minuten verpackt bekommen habe, stellte ich mir diese Angelegenheit heute morgen nicht sonderlich schwierig vor. Schließlich war es dann aber doch schwierig. Über eine Stunde war ich mit Packen und Verteilen im Rucksack beschäftigt. Danach war aber alles professionell vertäut und verpackt. Ich war zufrieden.

Die Kunst des Packens soll dazu führen, dass man das etwa 17 Kilogramm schwere Teil auf dem Rücken kaum merkt. Das klappt, je nach Rucksack, ganz gut. Irgendwann werden 17 Kilogramm aber auch als 17 Kilogramm vom Körper zurückgemeldet. Bei einem gut sitzendem (und gut gepacktem Rucksack) kommt die Meldung meistens von den Knien (bei mir ist das so!). Zu dem Packgewicht muss man auch noch Wasservorräte (für heute drei Liter) und diverse hilfreiche Utensilien rechnen. Toilettenpapier ist so ein hilfreiches Utensil. Es wiegt zwar nicht viel aber dafür nimmt es Platz weg. Außerdem sollte es gut erreichbar sein (schließlich ist es für colonale und rektale Notfälle gedacht). Aller Erfahrung nach kommt der Darm nicht ausschließlich durch den Kaffee, sondern hauptsächlich durch Bewegung so richtig in Wallung. Und man will sich ja unterwegs nicht die Unterhose versauen. Insgesamt nahm ich mir nach der letzten Packerfahrung (wiedereinmal) vor, aufzuschreiben, wie viel von den mitgeschleppten Klamotten nicht ein einziges Mal getragen werden - für einen leichteren Rucksack beim nächsten Mal. Ich werde es aber wieder nicht tun.

Für heute sollte es also von Playa Santiago nach San Sebastian gehen. Dabei handelt es sich um einen technisch einfachen Weg, der nicht über die 650 Meter hinaus geht. Schwierigkeiten kann allenfalls die exponierte Südlage der Tour machen. Die ebenfalls im Süden stehende Sonne (das harte Los eines Lebens auf der Nordhalbkugel...) macht aus den Barrancos im Süden, die in der Regel vom Wind abgewandt sind, ziemliche Hitzefallen. Ewiger Frühling hin oder her. Bis nach Seima, etwa der Hälfte der Strecke fand ich alles noch sehr "witzig". Die Temperaturen waren erträglich und der Rucksack saß bestens. Ein paar kleinen Barrancos habe ich bereits durchstiegen, von hier an beginnt der langezogene Abstieg nach El Cabrito.

El Cabrito ist heute eine Finca, die man nur vom Wasser aus erreichen kann und in der sich angeblich hervorragend ruhig Urlaub machen lässt. In den 1980er Jahren, nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl, wurde dieses Anwesen von der Mühlkommune gekauft. Zunächst war es als gemeinsames Urlaubsanwesen gedacht, auf dem später auch gelebt werden sollte. Die Selbstdarstellung der heutigen Genossenschaft El Cabrito berichtet für die beginnenden 1990er Jahre bereits von Auflösungserscheinungen der Kommune und dem anschließenden "Ausscheiden" ihres Gründers Otto Mühl (Wiener Aktionismus). Dahinter steckte allerdings auch das Interesse der österreichischen und spanischen Polizei für die Kommune, dessen Gründer die Finger nicht von (viel zu jungen) Mädchen lassen konnte. Später wurde er von der österreichischen Justiz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Wenn das mal kein triftiger Grund ist sich aufzulösen?!

Ab Seima, einem verlassenen Weiler, wurde es dann aber anstrengend. Die Sonne stand mittlerweile sehr hoch und der bis dato noch leicht wehende Wind machte Siesta. Ich schwitzte, meine Beine und der ganze Typ wurden so allmählich müde. Kurz vor El Cabrito war mein Wasservorrat fast aufgebraucht. Man sagt sich, dass an Wanderer dort Wasser abgegeben würde. Ich traf allerdings zu der Zeit niemanden dort an, der mir hätte helfen können. Ich sah die vor mir liegenden Felswände und den sich daran hochschlängelnden Weiterweg mit etwas Sorge. Noch zwei weitere Barrancos lagen zu diesem Zeitpunkt vor mir (Playa de la Guancha und eines, dessen Namen ich vergessen habe).

Dass man immer müder wird merkt man auch daran, dass die Anzahl der pro Zeiteinheit verknipsten Fotos stark zurückgeht. Anfangs machte ich noch zahlreiche Fotos. Die Landschaft des Südens ist schön, übersichtlich und fast vegetationslos. Ich frage mich immer, wie Menschen es dort einmal geschafft haben, dem Boden essbares abzuringen. Man durchquert auf dem Weg von Playa Santiago nach San Sebastian nämlich einige kleine, verlassene Dörfer: Seima zum Beispiel oder Contrero. Hier steht sogar ein mehrstöckiges Gebäude. Irgendwann hatte ich kein Auge mehr für das, was die Landschaft bot (was mich im Nachhinein immer sehr ärgert).

Das nächste Etappenziel war die Playa de la Guancha. Eine ewig lange Steinwüste, auf der sich sehr schlecht und nur mit großen Anstrengungen laufen ließ. Meinen kurzentschlossen gefassten Plan, mich im Atlantik etwas abzukühlen und den lästigen Schweiß loszuwerden verwarf ich, als ich barfuß etwas ungeschickt zwischen zwei dieser asozialen Brocken stecken blieb und mir den Fuß verknackste. Ist ja nicht schlimm, zu diesem Zeitpunkt waren ja nur noch zwei Gegenanstiege von jeweils etwa 150 Höhenmetern zu erwarten. Eine kurze Pause machte ich dennoch und betrachtete mir mit immer größerer Sorge meine langsam zur Neige gehenden Wasservorräte. Kraft hatte ich auch kaum noch, es wurde immer heißer und der Rucksack wurde immer schwerer. Ich schleppte mich also weiter und kam nach sieben Stunden Gehzeit in San Sebastian an. Sehr, sehr durstig und hungrig, dreckig außerdem. Ich überlegte ein wenig wegen der anstehenden Zimmersuche hin und her, setzte mich dann aber doch ersteinmal in eine Bar. Durstig kippte ich mir einen halben Liter Wasser und anschließend noch eine Cola light hinunter. Dann machte ich mich auf die Zimmersuche. Ein niedliches altes Haus mit Fensterläden suchte ich mir aus. Die Pension "Victor". Victor war ein kauziger älterer Herr, der alles sehr schnell regelte. Für 18 Euro die Nacht bekam ich ein Zimmer ohne Klo und Bad mit Blick auf die kleine Fußgängerzone. Unter dem dünnen Holzboden war das geschäftige Treiben in der ebenfalls im Haus befindlichen Bar sehr deutlich zu hören. Das könnte ja eine Nacht werden. Nach und nach freundete ich mich dann aber damit an, die Nacht nicht im Bett, sondern (zumindest zeitweise) am Tresen zu verbringen. Für die eine Nacht wird es schon gehen.

Jetzt liege ich am Stadtstrand, esse Erdnüsse und trinke Wasser (jawohl). Meine Beine sind wie Blei. Gleich werde ich wohl zurück und etwas essen gehen. Die Tour des Tages war zwar anstrengend (mit dem ganzen Gepäck), aber auch sehr schön. In dieser Ecke der Insel war ich noch nie zu Fuß und die sonst gelb-braunen Südbarrancos waren durch den vielen Regen tatsächlich auch ein wenig grün, zudem menschenleer (mir ist bis auf ein paar Segler an der Playa de la Guancha niemand begegnet) und schon ziemlich beeindruckend.

Morgen geht es über die zentrale Bergkette und Wetterscheide hinüber nach Hermigua. Ich bin gespannt, was mich da für ein Wetter erwartet. Es hat heute zwar nicht geregnet, über den Bergen türmten sich allerdings ein paar ganz schöne Wolken.

Alle Bilder sind von Thomas Hering. Sie können für nicht komerzielle Zwecke und unter Verweis auf den Urheber kostenfrei verwendet werden.