3. und 4. Tag
Von Teneriffa nach La Gomera - Playa de Santiago
(locko)
13. März 2007

Es ist 12:30 und ich liege am Strand von Playa de Santiago, mache Siesta und trinke ein (siestatypisches) Bierchen. Um mich herum kanarischer Müßiggang. Aber dazu später noch mehr.

Heute morgen um halb sechs bin ich mit dem Auto in Vilaflor auf Teneriffa in Richtung Nordflughafen (Los Rodeos) aufgebrochen und hatte das beruhigende Gefühl, viel zu früh unterwegs zu sein und damit auch recht pünktlich zum Abflug um halb neun startklar auf meine Maschine nach La Gomera zu warten. Mein Ziel war es, frühestens um sieben und spätestens halb acht dort komplett fertig zu sein. Komplett bedeutete auch, dass ich die Formalitäten mit der Autovermietung geklärt habe, einen Kaffe getrunken und irgendwo angegammelt neben meinem Rucksack sitze. Letztlich stellte sich allerdings heraus, dass mein früher Aufbruch durchaus gerechtfertigt war.

Über Vilaflor zeigte sich zu dieser frühen Stunde wieder ein klarer Sternenhimmel, für etwas natürliches Licht sorgte der Mond. Auf 1.400 Metern waren es an diesem Morgen 7 Grad, relativ kühl also aber durchaus normal für diese Jahreszeit. An der Base del Teide, der Seilbahnstation auf 2.350 Metern zeigte mein Autothermometer nur noch minus fünf Grad. Etwas später, noch in den Canadas in der Nähe von El Portillo (dem Abzweig in Richtung La Laguna) fuhr ich in Wolken, die Sichtweite betrug hier nur noch etwa 50 Meter. Sehr wenig, wenn man bedenkt, dass die Höhenstraße kaum reflektierende Markierungen hat und zudem auch nicht in allerbestem Zustand war. Das Thermometer blieb konstant unter null Grad. Etwa in Höhe des Observatoriums Izana fing es bei gleicher Temperatur an zu nieseln. Für die Weiterfahrt auf dem Rückgrat Teneriffas, das nur langsam an Höhe verliert und überaus kurvig ist, ließ das nichts "Gutes" erwarten. Die bis auf 2.400 Meter aufragende Nordflanke der Canadas fungiert quasi als Wetterscheide zwischen dem kühlen und feuchten Norden und dem eher trockenen, wärmeren Süden der Insel. Normalerweise nieselt es zu dieser Jahreszeit allenfalls ein wenig bei Temperaturen leicht über null Grad. Wie ich bereits erwartet habe trat an die Stelle der Kalima der Vortage ein Tiefdruckgebiet aus Nordwesten mit Kern etwa über Madeira, dass kalte und feuchte Luft im Schlepptau hatte. Für die Höhe, auf der ich mich bewegte, bedeutet das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit leichte bis mäßige Schneefälle.

Für einen mitteleuropäischen Autofahrer stellen diese Wetterverhältnisse keine großen Herausforderungen dar: Schneeregen, Nebel und Wind, was solls, haben wir bei uns etwa sechs Monate im Jahr. Hier verhält sich das nicht nur wegen der Straßenverhältnisse etwas anders. Die Autos auf den Kanaren haben keine Winterausrüstung, keine Winterreifen, keine Decken oder Schaufeln usw. an Bord. Ein Unfall zu dieser Zeit und bei diesem Wetter bedeutet, dass einem ziemlich schnell kalt wird. Zudem war es stockfinster. Das Abblendlicht brach sich im dichten Nebel, so dass ich nur gefühlte 20 Meter weit sehen konnte. Etwas verkrampft und mit 20-30 km/h setzte ich meine Fahrt fort. Die Sicht wurde immer schlechter und ich überlegte mir einen Plan B, umzukehren und über Orotava und Puerto de la Cruz zum Flughafen zu fahren. Die Straßenverhältnisse sind dort deutlich besser. Der Nachteil war, es wurde immer später und Flugzeuge warten bekanntlich nicht auf bummelnde Passagiere. Immer dieses Abwägen. Fahre ich weiter und krache auf eisglatter Straße irgendwo rein, war es das mit meinem Urlaub, kehr ich um, heißt das nicht, dass die Straßen nicht vereist sind und ich keinen Unfall baue, mit Sicherheit aber mein Flugzeug verpasse. Ich entschloss mich weiterzufahren.

Ab 1.900 Metern (es befinden sich hilfreiche Höhenangaben am Straßenrand) ging der Schneeregen allmählich in Regen über. Die Temperatur lag bei einem Grad und es wurde einfach nicht wärmer. Erst unter 1.500 Metern änderte sich das sehr langsam. Ich rechnete also mit Glätte. Ein weiteres Problem waren die vielen großen und kleinen Felsbrocken, die in unregelmäßigen Abständen auf der Straße lagen. Schnell fährt man in soetwas rein und hat eine Reifenpanne. Ebenso wenig gut, denn man muss raus und bei diesem Mistwetter die Reifen wechseln. Auf Winter war ich wirklich nicht eingestellt und somit hatte ich auch meinen Norwegerpullover und meine Arktisjacke nicht mit. Nur eine Fleecejacke (haha) und eine Regenjacke, die platzsparend irgendwo in der Mitte meines Rucksacks eingerollt lag. Der Rucksack lag selbstverständlich im Kofferraum. Handschuhe oder ähnliches Zeugs hatte ich überhaupt nicht dabei. Ich wusste nichteinmal, wo das Reserverad gelagert war (vermutlich unter dem Auto), geschweige denn ob Werkzeug mit an Bord war. Egal was wäre, Reifenpanne, Störung oder Unfall, mir würde kalt werden! So kreisten meine Gedanken, während ich mit 20 km/h durch den Nebel und Starkregen schlich und mich krampfhaft an meinem Lenkrad festhielt (wie schlau von mir...).

Durch die ganze Nachdenkerei merkte ich nicht, wie die Zeit verging und bald passierte ich die erste größere Ortschaft (ich weiß nicht mehr, wie sie hieß). Puhh, alle Sorgen fielen von mir ab, ich habs wohl geschafft. Die Cumbre dorsal behält mich also nicht bei sich! Die nächste größere Herausforderung für einen Selten-Autofahrer wie mich stellte "nur" noch der Pendlerverkehr zwischen Puerto de la Cruz, La Laguna und Santa Cruz dar und dann wäre ich am Flughafen. Ungünstiger Weise muss man hier auf der Carretera del Norte (unter Nutzung quirliger Abfahrten) wenden... Geregnet hat es weiterhin wie aus Kübeln.

Kurz nach halb acht erreichte ich dennoch unbeschadet aber etwas erschöpft den Mietwagenparkplatz, machte hier die notwendigen bürokratischen Eintragungen im Fahrtenbuch (ist da so, Kilometerstand, Treibstoff, Abgabezeit und Parkplatznummer). Schlüssel und Unterlagen gab ich ab, bekam noch 15 Euro Spritgeld wieder, es war halb acht und ich hatte zwei Stunden Zeit, bis meine Binter-Maschine fliegen sollte.

Auf dem Nordflughafen war zu der Zeit wenig Leben, keine kanarischen und venezuelanischen Mütterchen und Großfamilien, die ihre ausgewanderten Söhnen und Töchtern entweder beim Empfang vollheulen oder ihnen beim Abschied hinterherjammern. Zu dieser Zeit flogen lediglich interinsulare Flüge und ein paar Maschinen zum Festland. Ich kaufte mir eine kanarische Tageszeitung, trank einen großen Kaffee und checkte problemlos ein. Von meinem Aussichtsplatz beobachtete ich, wie hintereinander zwei unbeschriftete große Maschinen starteten. War das der CIA, der Guantanamo mit mehr oder weniger schuldigem Nachschub an Gefangenen versorgte? Oder der spanische Geheimdienst? Oder der Mossad? Richtig, der Mossad! Nein, vielleicht werden die paar überlebende Flüchtliche aus Afrika wieder an den Startpunkt ihrer Reise in den Senegal oder nach Mauretanien verfrachtet? Wer weiß. Ich hatte eine wunderschön saubere Binter-ATR 72 (ein Propellerflugzeug) im Visier und wägte mich schon in unvorstellbaren Platzluxus. Nach Gomera wird nämlich eher die Fähre genommen, so dass die Fluglinie nach La Gomera so gut wie nie ausgelastet ist. Ich fahre sonst auch Fähre und werde sicher auch nie wieder nach Gomera fliegen. Es würde wohl das erste und das letzte Mal sein, per Flugzeug auf diese Insel zu kommen.

Meine Träume wurden (mal wieder) von der weniger schönen Realität eingeholt. Statt der sauberen ATR verfrachtete der Flughafenbus mich und fünf weitere Reisende zu einem Kleinflugzeug, Piper oder Beech oder so. Na Super! Eine Sitzreihe rechts, eine links, Tür zum Cockpit offen aber immerhin zwei Piloten. Ich bin jetzt also dem Billig-Carrier der eh schon preiswerten Binter - Naysa - auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und das bei diesem Wetter! Irgendwie erinnerte ich mich an meine längst besiegte Flugangst (aber nur kurz). Augen zu und durch, wenn ich den Schnee und Regen auf der Cumbre überstanden habe, kann mich ein kleines Flugzeug auch nicht mehr ins Jenseits befördern.

Unerwartet ruhig hoben wir ab, bis wir die zwar gering mächtigen aber durchaus turbulenten Congestuswolken erreichten. Hoch und runter, nach rechts und links kippen (flattern), ein paar Luftlöcher und viele Thermikschläuche sorgten für Unterhaltung. Über den vielleicht bis auf 2.500 Metern aufragenden Wolken war ein strahlend blauer Himmel. Durch das verdreckte Fenster der Maschine ließ sich der Teide als verschwommene Silhouette ausmachen. Gestern war ich noch verwundert, dass auf dem Teide so wenig Schnee liegt, Rund um den Gipfel lag aber noch was, zumindest sah es so aus. Der Landeanflug auf La Gomera war tubolent, die Landung erfolgte bei unangenehmen Seitenwind in östlicher Richtung, was also auch noch einen Gegananflug bedeutete - nicht so schön.

Im Flughafengebäude verpackte ich meinen kleinen Tagesrucksack in den Reiserucksack und verzurrte die hier viel zu warme Fleecejacke. Das Wetter war leicht wolkig mit vielen blauen Abschnitten am Himmel, kein Regen und nach kurzer Zeit zeigte sich sogar die Sonne. Nicht schlecht: Von Schneesturm nach Frühling in zwei Stunden. Irgendwie hatte ich noch Lust im Flughafen herumzulungern und machte ein paar Notizen in mein Tagebuch. Nach etwa einer Stunde brach ich dann in Richtung Playa de Santiago auf - ein 200 Meter Abstieg und das erste Mal in diesem Urlaub mit meinem Reiserucksack: ein deuter 55+10 Liter Teil, das etwa 17 Kilo wog. Deuter ist bekannt für außerodentlich gut sitzende Rucksäcke. Das stimmte, lediglich meine Knie merkte ich, auf dem Rücken kein Problem! Während des Abstiegs hatte ich die romantische Hoffnung in einem 25 Euro Appartment mit Balkon und Meerblick unterzukommen.

Es wurde immer sonniger und nach etwa einer halben Stunde war ich da. Allerdings wurden nicht nur meine Zimmerpläne enttäuscht (Preis und Lage), sondern auch der noch ein Jahr zuvor mit reichlich Sand durchwachsene Kiesstrand glich einer Steinwüste auf der laute Maschinen ihr Unwesen trieben. Ich fragte in Santiago in der Pension "Playa" nach einem Zimmer - lleno, Pension "Casanova" - lleno tambien. So ging das munter weiter, bis ich am neu eröffneten Tourismusbüro vorbeikam. Ja, die Frau würde mir helfen können! Ich erklärte ihr auf spanisch (mit englisch und deutsch kommt man auf den kleinen Kanaren nicht sehr weit), dass ich für zwei Tage ein Zimmer haben wollte, dass (nach spitzer Nachkalkulation meiner Reisekasse) durchaus bis 40 Euro kosten konnte. Sehr hilfreich war das Gespräch allerdings nicht. Nachdem ich der guten Frau erklärte, dass ich alles, was sie vorschlug, bereits abgeklappert habe, habe ich mich doch noch zu der entscheidenden Frage durchgerungen: Nämlich ob sie die Pension "Lolita" (rrh) in La Laguna kenne. Mein Reiseführer wies mich darauf hin. Mir war es schließlich egal, ob ich in Santiago oder Laguna unterkomme. Beide Orte liegen recht nah und fußläufig beieinander. Darauhin sagte sie irgendetwas davon, dass sie ihre katholische Tochter da nicht schlafen lassen würde, und ich schon selber wissen müsste, was ich tue. Ungeschoren käme man da ihrer Prognose nach jedenfalls nicht heraus. Mmh, ich bin zwar katholisch, aber nicht ihre Tochter und schon gar kein Mädchen. Vielleicht sind es auch Rucksackreisende wie ich, die ihre Angst um ihre Tochter schührten. Ich weiß es nicht. In Santiago schlug sie mir noch die Appartments "Orone" vor, die hätten immer was frei. Wie hatte ich denn das nun wieder zu verstehen? Egal, mein Reiseführer wies für diese Appartments zwei Schlüssel aus, nicht unbedingt günstig und bestimmt über 40 Euro.

Ich sprach mit dem Wirt dieser Pension und angeschlossenen Wirtschaft und wir wurden uns für 35 Euro pro Nacht einig. Wenn ich ein Bier trinken wolle, ginge das dann auch auf's Haus. Oh, wie großzügig! Das Appartment war riesengroß, sauber und kühl. Es hatte eine Küche und etwa drei Meter vor der Fensterfront eine Felswand. Das war der einzige Haken. Für zwei Tage ist das allerdings wurscht und das Meer ist genau vor der Tür. Wozu soll ich dann auf einem verwarzten Balkon rumsitzen und auf's Meer glotzen, wenn ich das in zehn Metern Entfernung sowieso herumzurauschen habe? Und dann der Lärm! Der Atlantik ist schließlich keine Badewanne und ein paar hoche Brecher landen da schonmal innerhalb weniger Minuten laut krachend an. Es verhieß also zumindest eine ruhige Nacht zu werden.

Jetzt gegen 13:00 bin ich dabei mein für Kanarenurlaube typisches zweites Bier zu trinken. Ich liege am Strand und um mich herum lärmen laute Maschinen, die irgendwas mit den Steinen machen. Wenigstens scheint die Sonne und ich kann dösen. Das pure kanarische Leben wirkt auf mich ein. Eben pinkelte ein Einheimischer aus einer Wirtschaft kommend direkt neben mir an die Uferbefestigung. Was für ein Leben! Ich ging erstmal ins Meer. Menschen habe ich bisher heute keine kennengelernt. Ich würde das aber auch niemanden wirklich wünschen, denn ich rieche wie ein ungewaschenes Lama, dass man drei Wochen in die Sonne gestellt hat. Außerdem habe ich nach den zwei Bieren eine beachtliche Fahne, mein T-Shirt trage ich auch schon länger als zwei Tage. Ich fühle mich einfach wohl hier, muss mal nicht den Reiseleiter spielen und wenn was nicht klappt, egal. Zum Abend hin war ich noch im Internetcafé und ging dann zeitig schlafen. Morgen plane ich eine Runde in die Täler des Südens durch Pastrana, Lo del Gato und wieder zurück. Eine schöne Beschehrung wird's da geben, wie sich noch zeigen wird.



14. März 2007

Die relativ willkürlich getroffene Entscheidung, zwei Tage in Santiago abzusteigen, erwies sich im Nachhinein als schlau. Die Kalima vom Sonntag, das Regenwetter auf der Fahrt von Vilaflor auf Teneriffa zum Nordflughafen und die bedrohlich wirkenden Wolken in den Bergen von La Gomera, ließen nicht unbedingt Sommerwetter erwarten. Heute morgen war der Himmel, abgesehen von ein paar harmlosen Quellwolken (Cumulus humilis), blau, ein schöner Sonnenaufgang folgte. Einzig der Luftdruck ist über Nacht um 9 Hektopascal gefallen. Tja, 1+1+1+Messfehler, richtig: eine hohe Regenwahrscheinlichkeit für den heutigen Tag. Santiago liegt im Süden La Gomeras und wahrscheinlich wird der Ort nicht sehr viel Regen abbekommen. Mehr als 120 Liter pro Jahr fallen hier nicht (Wüstenklima). Also warum dann ausgerechnet heute? Richtig, einmal getroffene Entscheidungen sollte man beibehalten und so werde ich heute die Täler des Südens von Santiago, vorbei an einem Steinbruch über Pastrana, Lo del Gato, El Cabezo, El Rumbazo und wieder zurück wandern. Die Dörfer und Täler des Südens (abgesehen vom Barranco de Guarimar) kenne ich noch nicht und so war ich gespannt. Geplant war die Tour zwölf des Rother Wanderführers in umgekehrter Richtung zu begehen, immer im Hinterkopf, dass ich mich ruck zuck in einem kräftigen Regenschauer wiederfinde. Die umgekehrte Begehung machte es wahrscheinlich, dass ich das heikle Stück von Lo del Gato nach El Cabezo noch trocken, also noch vor dem wahrscheinlichen Regen, hinter mich bringen würde. Alles andere wird leicht sein und auch ungefährlich bei Regen - eine der von mir sehr geliebten Rundwanderungen würde das also werden.

Nach der doch nicht so ruhigen Nacht - der Kühlschrank machte Lärm, die Klospülung war kaputt und meine Erkältung war noch aktuell- waren voraussichtlich viereinhalb Stunden Wanderung richtig gut. Nicht zu viel und nicht zu wenig. 700 Höhenmeter in Auf- und Abstieg würde ich überwinden - nicht unbedingt viel, wenn man bedenkt, dass ich mir noch vor zwei Tagen in dünner Bergluft beim Teideaufstieg fast die Höhenkrankheit geholt habe und zudem doppelt soviele Höhenmeter überwandt.

Gegen 9:00 lief ich los. Vorher gabs mein klassisches Urlaubsfrühstück: Brot, Thunfisch und rohe Zwiebeln. Lecker, zeugt aber von geringer sozialer Kompetenz - egal, bin ja alleine! Der Weg begann gut. Der Himmel war nach wie vor blau, einzig meine Wegfindungskenntnisse waren nicht auf dem besten Stand. An jeder Kreuzung entschied ich mich zunächst für den falschen Abzweig... Blöd sowas. In El Cabezo verlief ich mich zum x-ten Mal, lief an einem stinkenden, laut kläffenden Köter vorbei und hoffte dabei, dass ich endlich den Einstieg zum Aufstieg gefunden habe. Allein schon deshalb, damit ich nicht erneut an dieser dumm und giftig bellenden, locker angeleinten Bestie vorbei musste. Ich bin dann auf dem Rückweg schließlich doch nocheinmal an dem Hund vorbei gegangen (falscher Weg Baby!).

Bevor mir der Arsch geplatzt wäre fragte ich einen alten Mann, der gerade halbleere Weinflaschen von seinem Keller in den Patio räumte. Leider merkte ich bald, dass er Taub war wie ein Baumstamm. Ich fragte zunehmend lauter "Senor, SENOR!". Aber er rührte sich nicht und würdigte mich keines Blickes, wie erniedrigend, ich sollte vielleicht Grimassen schneiden? Vielleicht ist er ja auch blind? Ach nee, die Weinflaschen hat er ja gefunden! Er fummelte weiter an seinen Weinflaschen herum. Auf HOLAAAH reagierte er schließlich. Sehr erschrocken, so dass ich Sorgen hatte, er würde mich jeden Augenblick mit seinem Gewehr bedrohen. Auf "hoschspanisch" fragte ich ihn nach dem Weg nach Lo del Gato über den Lomo del Azadoe. Groß war der Ort El Cabezo nicht und der Alte sicher wegkundig. Der schickte mich aber wieder zu der Thöle zurück. Dieser Weg endet aber verdammt nochmal in einer Krautwüse - schon vom ersten Versuch da durchzukommen bluteten meine Beine überall. Er schlug mir außerdem einen Umweg via Guarimar vor. Das wollte ich aber nicht. Um weiteren fruchtlosen Gesprächen aus dem Weg zu gehen sagte ich ihm, ich ginge über Guarimar und bedankte mich. Er war froh mir geholfen zu haben (...), bot mir einen ordentlichen Schluck an (gar nicht mal schlecht) und klopfte mir mit seinen Pranken auf die Schulter. Schön das er zufrieden war, meine Weglosigkeit war allerdings immernoch nicht behoben. Ich tröstete mich damit, dass man von Guarimar aus überall in Gomera hinkommen würde, nur nicht nach Lo del Gato, wo ich hinwollte. Der Ort ist ein ähnliches Drehkeuz auf Gomera, wie der Bahnhof Hannover in Norddeutschland. Ich will aber nicht nach Guarimar, sondern nach Lo del Gato, verdammte Scheiße!

Selbst ist der Mann und so bin ich den einzigen Weg in diesem kleinen Nest gegangen, den ich bisher noch nicht versucht habe (ein Meisterstück bei gerade mal vier Häusern, die in diesem Ort stehen...). Und siehe da, der letzte Versuch traf ins Schwarze. Steinmännchen standen da, die Richtung stimmte, es ging bergauf und die Wolken wurden immer dichter, Perfekt! Wenn man einen Weg gefunden hat, ist alles weitere ein Kinderspiel, so, wie wenn man aus der Kölner Innenstadt heraus endlich auf der A1 ist. Wie Autobahn fahren! Einmal drauf und von da an zählt (zumindest beim Wandern) nur noch das eigene Zeitgefühl und (wie bei Autobahnen auch), die richtige Abfahrt zu finden. Ich trottete so vor mich hin, immer in der Hoffnung, jetzt noch nicht nass zu werden (ringsherum sah es nämlich schon zeimlich eindeutig nach Schauerwetter aus). Irgendwann zeigte mein Barometer 942 Hektopascal an. beim Ausgangspunkt in Santiago waren es 1012 (also Summasumarum: etwa 700 Höhenmeter überwunden). Das heißt, gleich müsste rechts ein Weg hinunter nach Lo del Gato abbiegen. Da war aber kein Weg (zumindest fand ich ihn mal wieder nicht), immer weiter schraubte sich der Weg hinauf in Richtung El Azadoe. Bei Luftdruck 932 (also nocheinmal 100 Meter höher) gab ich es schließlich auf, ich werde den Weg wohl nicht gefunden haben. Somit trat Plan B in Kraft: Ich würde weiterlaufen, hinab nach Benchijigua (den Weg kenne ich) und dann zurück nach Santiago. Das ist etwas weiter aber ich habe ja auch Zeit. Den Weg fand ich schließlich (Luftdruck 922, also weitere 100 Höhenmeter), insgesamt war ich jetzt bei 900 Aufstiegsmetern - es wurde allmählich zum Sport und nicht mehr zum Spaziergang.

Unterwegs begegnete mir eine Wandergruppe, die auf dem Weg nach Imada war. Es waren Schweizer. Im Spiegel habe ich gelesen, dass die Schweizer sich in ihrem eigenen Land von den besser ausgebildeten und vor allem besser deutsch sprechenden deutschen Einwanderern langsam ausgegrenzt fühlten. Die Armen, der Hälfte der Gruppe wird wohl gerade von einem Einwanderer aus Sachsen die Stelle genommen. Die Minderwertigkeitskomplexe sind wohl nicht unbegründet. Denn was machen die Schweizer? Sie jodeln in den Bergen herum, dass man am liebsten die nicht vorhandene Bergwacht rufen wollen würde (haben die gemacht, wirklich!). Also liebe Schweizer, stellt euch langsam auf die deutschen Gepflogenheiten ein und grölt lieber oder macht ähnliche Geräusche. Am besten in Kneipen, Fußballstadien oder sonstwo, wo man auch besoffen nicht sonderlich auffällt. DAS ist europäische (Leit-) Kultur!

Auf dem Weg nach Benchijigua holte mich der erste Schauer ein. Er war noch schwach und schaffte willkommene Abkühlung. Nach Benchijigua schüttete es allerdings wie aus Eimern. Im nu war ich nass. Um nicht noch nasser zu werden beschloss ich, mich unter eine Palme zu stellen. Ich kämpfte ein wenig mit mir, denn der Himmel über mir sah nicht so aus, als ob es heute noch aufhören würde zu regnen. Nach ein paar Minuten entschloss ich mich, trotz Regen weiter zu gehen. Eine gute Entscheidung, denn bei jedem Rückblick konnte man sehen, dass sich der Regen nicht verzog. In Richtung Meer - Logik Canaria - nahm die Regenintensität ab. Zumindest hier im Süden. Je tiefer ich kam, desto weniger regnete es. In Pastrana (etwa 45 Minuten vor Santiago) war ich wieder trocken. Es nieselte den restlichen Weg noch vor sich hin und kurz vor dem Meer wurde es denn auch von oben trocken.

In Laguna kaufte ich mir zwei Bier und lief zurück zu meiner Behausung. Meine Schuhe brauchten eine Zeitungstamponade. Ein Hoch auf Meindl, die sind tatsächlich wasserdicht. Von außen sicher, aber eben auch, wenn einem das Wasser die Beine herunter in die Schuhe läuft. Jetzt hier auf dem Sofa in meiner Unterkunft höre ich den Regen prasseln und bin froh, noch vor dem jetzt sehr ergiebigen Regen wieder "unten" zu sein. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit einer alten Frau heute morgen vor dem Supermarkt an der Plaza von Santiago. Neben Verwünschungen gegen den aus ihrer Sicht viel zu teuren Supermercado "El Paso", fragte sie mich auf meine Aussage hin, dass ich nach Lo del Gato wolle, warum ich denn nicht gleich nach Benchijigua gehe. Ich antwortete, dass ich da schon gewesen sei. Dann klagte sie noch über ihre kaputte Wirbelsäule und schon machte der Supermarkt auf und sie war weg. Was soll ich dazu sagen? Vielleicht habe ich mich deshalb verlaufen und bin das deutlich weitere Stück nach Benchijigua gegangen, weil sie mir den Weg über Benchijigua vorschlug. Was lernte ich daraus? Halte dich fern und wenn das nicht geht, rede nicht mit alten Weibern!

Alle Bilder sind von Thomas Hering. Sie können für nicht komerzielle Zwecke und unter Verweis auf den Urheber kostenfrei verwendet werden.