1. und 2. Tag
Teneriffa on the Roques
(locko)
11. März 2007

Kalt war es, als ich morgens gegen 4:00 von meinem Bruder abgeholt wurde um irgendwie von Magdeburg nach Berlin zu kommen. Magdeburg ist ein Provinznest und nahezu abgekoppelt vom Fernverkehr der Deutschen Bahn. Sonntags, und heute ist Sonntag, fährt (soweit ich weiß) der erste Zug um zehn. Die Gleise werden über Nacht poliert. Mein Flieger geht um halb acht zunächst nach Madrid und von dort aus weiter nach Teneriffa Süd. Für die kommenden zwei Wochen habe ich ambitionierte Pläne, erstens den für meine Kanarenaufenthalte obligatorischen Teideaufstieg (immerhin der höchste Berg Spaniens). Zweitens ist eine Umrundung der Insel La Gomera, ausgehend von Santiago entgegen dem Uhrzeigersinn, geplant. Zwischenstops werden in San Sebastian de la Gomera ("quirlige Hauptstadt), Hermigua (über Chejelipes), Vallhermoso (über Juego de Bolas, El Tion), Valle Gran Rey (über Epina, Arure) zurück nach Santiago (über Gerian, La Dama, La Rajita, Alajero) eingelegt. Sollte noch Zeit sein, sind ein paar Erholungstage im Valle Gran Rey geplant.

Der Tag beginnt meinerseits müde und etwas verkatert. Mit meinen Buckau-Boys hatte ich bis nach Mitternacht noch einen Auftritt in Barby (wo ist Barby?), bei dem Christian noch seinen Schlüssel oder seine Jacke einbüßte... Aber das ist eine andere Geschichte. Mein Bruder, der zufälliger Weise auch Christian heißt, mit den Buckau-Boys aber gar nichts zu tun hat, fuhr mich auf nahezu leerer Autobahn nach Berlin. Ich hasse den Flughafen Tegel. Bin schon so oft von hier abgeflogen und finde mich immernoch nicht zurecht hier. Meistens reise ich ja mit öffentlichen Verkehrsmitteln an (meine Empfehlung ab Zoo mit dem X9-er nach Tegel). Als Autofahrer ist dieser Flughafen unerträglich. Gut, ich musste ja nicht fahren, sondern war ausschließlich damit beschäftigt, meinen Alkoholspiegel duch Atmen abzubauen. Neben dem Kater kämpfte ich mit einer ausgewachsenen Erkältung, die mich regelmäßig im Spätwinter erwischt und sich auch diesmal nicht vermeiden ließ. Das wird später, spätestens beim Teideaufstieg noch von Bedeutung sein.

Abflug, Umsteigen und Ankunft in Teneriffa lief wie immer alles "glatt". Man mag von der spanischen Airline "Iberia" halten, was man will, ich war immer sehr zufrieden. Um Welten mehr Platz, als in den Konservenbüchsen von Condor oder Air Berlin. Die Stewards und Stewardessen sind etwas unterkühlt, das Feuer Spaniens lodert halt nicht im Dienst. In Teneriffa übernahm ich ein Auto, weil ich weiter wollte nach Vilaflor, ein Bergdorf auf ca. 1.400 Metern Höhe - meines Wissens das höchstgelegene Dorf der Kanaren. Ich hatte lediglich ein Problem: nichts zu essen! Morgen (also am Montag) wollte ich mit den Hühnern aufstehen und bereits vor Sonnenaufgang den Teideaufstieg beginnen. Ohne Essen würde das sicher nicht lustig. Und diese "Probleme" auf einem Sonntag... Als alte Buchhalternatur hatte ich natürlich längst einen genialen Plan: "Fahr in einen Touristenort und finde einen offenen Supermarkt" (Feiertage und Siestas sind mit der properierenden und gehetzten Tourismusindustrie nämlich nicht mehr vereinbar). Ich machte mir lediglich etwas Sorgen um meine Barschaft, denn ich weiß, dass in Orten a la Los Cristianos oder Playa de las Americas Supermärkte etwa dreimal (gefühlte 6 Mal) teurer sind als im übrigen Land (das hat sicher viel mit Immobilienspekulation zu tun). Meine innere Stimme sagte mir, diese beiden Orte möglichst zu meiden. In der Nähe des Südflughafens, etwa 10 Minuten Autofahrt liegen zwei größere Siedlungen: San Isidro (alles zu) und El Medano (hier gab es einen Supermarkt, der geöffnet hatte). El Medano ist ein Surferparadies und nicht ganz so hässlich, wie die großen Touristenorte an der Südküste. Der Supermarkt war gut sortiert und hielt alles parat, was sich hungriger und durstiger Reisender mit Rotznase erträumt. Flugs kaufte ich Brot, Bier und Aufstrich (wie immer Almogrote). Dazu selbstverständlich einen kleinen Wasservorrat, den ich die nächsten Tage noch brauchen werde. Das Brot erwies sich im Nachhinein als fataler Fehleinkauf, es handelte sich um Fenchelbrot und da ich keinen Fenchel mag, mag ich auch das Brot nicht. Allerdings ist es auch nicht so schlimm, dass ich von Fenchel kotzen müsste, also aß ich das Brot (auch mangels von Alternativen) trotzdem: am Abend, zusammen mit einer ordentlichen Portion Almogrote, Äpfeln und kanarischen Bananen.

Bisher lief also alles "wie am Schnürchen". Optimismus ist nicht meine Stärke, so dass ich befürchtete, dass irgendwas doch wohl noch schiefgehen müsste. Mit diesen Gedanken fuhr ich immer schön bergauf über Granadilla nach Vilaflor. Für den kanarischen Winter war es hier ziemlich warm. Immerhin können bei ungünstigen Wetterlagen auf dieser Höhe durchaus auch mal Temperaturen, wie in Magdeburg Mitte Januar herrschen (also kalt, aber kein Frost). Dazu kann sich der feuchte Geselle "Nebel" einschleichen. 3 Grad und Nebel, dazu ein frischer Wind, würde wenig Urlaubsstimmung aufkommen lassen. Zum Zeitpunkt meiner Anreise herrschte allerdings die "Kalima", ein staubig, trockener Wind direkt aus der Sahara. Sein Vorteil ist: keine Wolken, etwas gelblich-diesig und warm auf allen Höhen. Wo Licht ist, da ist auch Schatten, in diesem Fall folgt der Kalima mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Tiefdruckeinbruch mit entsprechendem Mistwetter. Für das Hochgebirge Teneriffas kann ein solcher Tiefausläufer Schneefälle bis in die mittleren Lagen (1.500 Meter) parat haben. An einen Teideaufstieg bei solchem Wetter wäre nicht zu denken (es sei denn, man will sich kurzentschlossen umbringen). Gut ist, dass es nicht sofort nach der Kalima schlecht wird, sondern erst mit ein paar (wenigen) Tagen Verspätung.

In Vilaflor machte ich mich auf die Suche nach einer Pension. Ich ging zu "DER Pension", in der ich immer schlafe, wenn ich hier bin: "Pension German" an der alten Hauptstraße. Ich machte mich bemerkbar und begann nach einem Zimmer zu fragen. Germans Sohn machte auf mein Ansinnen ein Gesicht zwischen "ist der verrückt" oder "es ist Saison, daher alles belegt". Kurz darauf verschwand er, ohne mich weiter zu beachten hinter die Bar. Brauchte er etwa ersteinmal einen ordentlichen Schluck auf diesen Schreck? Ich vermied zunächst weitere Nachfragen und setzte mich an einen der Tische. Ich hatte Durst und war müde, sollte ich ein Bier...? Während ich mir darüber Gedanken machte kam German völlig entspannt und mit einem breiten Grinsen zu mir und gab mir meinen Zimmerschlüssel. Zwei Tage bin ich also (mal wieder) hier zu Gast, für 50 Euro. Das Zimmer war winzig, hatte ein Fenster zu einer Seitenstraße heraus, Bad und ein Klo. Alles in allem deutlich geschmackvoller als ein Etap-Zimmer und auch noch günstiger. Ich fühlte mich ersteinmal wohl.

Nachdem ich das Zimmer bezogen und mir etwas anderes angezogen habe, bin ich zu einer kurzen Wetter- und Wegerkundung in die Canadas gefahren. An der Seilbahnstation hängt stets eine Wetterprognose für die nächsten Tage und Informationen über den Zustand des Weges. Der Aufstieg über die Norostflanke und die Schutzhütte Refugio Altavista ist technisch einfach, allerdings können die letzten 400-500 Aufstiegsmeter im Winter durchaus mal komplett vereist sein. Das kann einen Aufstieg deutlich erschweren, ohne Leichteisen kommt man dann nur sehr mühselig voran. Einen weiteren Nachteil bei ausgesprochenen Schneelagen am Teide ist, dass immer wieder "Schneehöhlen" unter einer relativ festen Schicht auftauchen können, die man vorher nicht sieht. In einem Mai (!) bin ich hier schonmal mis zu den Hüften im Schnee versunken - das Herauskommen ist in dieser Höhe nicht ganz einfach. Aber die Prognose war sehr günstig: Das Wetter wird wohl gut und die Wegverhältnisse sollten ebenfalls gut sein. Es stand also fest: Morgen rauf auf Spaniens höchsten Berg!

Zum Baden fuhr ich anschließend nach Los Cristianos. Hier ist die Bude voll mit Pauschaltouristen. War mir Wurscht, ich zog mich aus und badete ersteinmal im Atlantik - zu Abkühlungs, aber auch zu Reinigungszwecken. Das Meer ist angenehm kühl, allerdings ist die Sonne hinter der gelblich, staubigen Kalima kaum auszumachen. Hoffentlich wird das morgen etwas besser - zumindest die Sicht.

Nach kurzer Zeit machte sich das Schlafdefizit bemerkbar, noch im Hellen trat ich die etwa 40-minütige Rückfahrt nach Vilaflor an, setzte mich dort in Germans Bar und trank Bier. Nach zweien wurde ich noch müder und ich beschloss nicht in der Bar einzuschlafen, sondern in meinem Zimmer. Sicherheitshalber nahm ich mir noch ein Fläschchen Dorada mit. Dort angekommen legte ich mich ins Bett und las den "Spiegel". Ich wunderte mich, dass die Russenangst auch bei der Generation durchaus ausgeprägt zu sein scheint, die Flucht, Vertreibung (derzeit DAS Thema) und SBZ nicht erlebten. Naja, das ist in Deutschland wohl genetisch bedingt.


12. März 2007

Ich bin früh aufgestanden und war wegen des sternklaren Himmels etwas überrascht. Offensichtlich hat sich die Kalima verzogen. Hoffentlich kommt bei dem Tempo nicht schon heut der Regen. Gegen sieben Uhr stellte ich das Auto an der Einstiegsstelle ab. Die Temperatur lag bei minus sechs Grad. Es war kaum Wind, so dass es einigermaßen erträglich war. Außerdem trug ich einen Schal und hatte eine Mütze auf. Ich lief los und war beeindruckt von den Farben, in die die aufgehende Sonne die archaische Landschaft der Canadas tauchte. Zwei weitere Autos standen auf dem Parkplatz (damit war er auch schon fast voll).

Entweder handelt es sich hier um noch masochistischere Frühaufsteher als mich, oder Leute, die in der Refugio Altavista (auf 3.260 Metern Höhe) übernachteten, um zum Sonnenaufgang auf dem Teide zu sein. Von dort aus benötigt ein gut konditionierter Wanderer nämlich lediglich etwa eine bis eineinhalb Stunden auf den Gipfel. Bis ganz nach "oben" kommt man nur mit einer mühsam beschafften Permisio oder dann, wenn man vor 9:00 wieder zurück auf dem Panoramaweg unterhalb des Teidegipfels ist. Zu der Zeit beginnt nämlich die Schicht der Ranger, die penibel darauf achten, dass niemand ohne Erlaubnis auf das Naturdenkmal pinkelt. Mit Permisio ist das überhaupt kein Problem. Mein Endpunkt wird also etwa 100 Meter unterhalb des Gipfels sein. Um die vier Stunden habe ich für den Aufstieg, zwei bis drei Stunden für den Abstieg, eingeplant.

Nach etwa einer Stunde stand die Sonne so hoch, dass sie wärmte, nennenswerter Wind wehte nicht, so dass ich schnell nur noch im T-Shirt unterwegs war. Bis zur Einstiegsstelle des Steilaufsteigs zur Refugio Altavista (auf etwa 2.700 Metern Höhe) benötigte ich gut eine Stunde. Einem Flachländer wie mir machte ab etwa 3.000 Höhenmetern trotz relativ guter Kondition die "dünne Luft" zu schaffen. Ich komme dennoch gut voran. Ab der Refugio Altavista bekam ich allmählich Kopfschmerzen, die auf leichte Akklimatisierungsprobleme hinwiesen. Solange es dabei bleibt, muss man eigentlich nichts weiter machen, außer (langsamer) weiterzulaufen. Kommen Schwindel, Orientierungsprobleme und Atemprobleme dazu, sollte man sich wieder auf den Rückweg machen. Dann nämlich befindet man sich bereits in einem frühen Stadium der Höhenkrankheit, die gar nicht witzig sein soll. Ein wenig hingen die Kopfschmerzen wohl auch mit der nach wie vor aktuellen Erkältung zusammen.

Achso, zur Temperatur sagte ich ja bereits etwas. In den Canadas lag sie auf dem Hinweg zwischen minus acht und plus vier Grad Celsius. Durch die Sonne stiegen die Temperaturen schnell auf etwa 15 Grad an. Nach dreieinhalb Stunden war ich auf dem Panoramaweg in Höhe der Seilbahnstation. Den bin ich abgelaufen und hab am Mirador Pico Viejo (der zweithöchste Berg in Teneriffa) einen Blick auf die Nachbarinseln Gran Canaria, La Palma, La Gomera und El Hierro geworfen. Einen wirklich schönen Ausblick hat man von da oben. Auf diesem Panoramaweg kamen mir bereits zahlreiche Touristen in Schlappen und Muskelshirts entgegen. Die Frauen waren sehr knapp bekleidet, was mich nicht weiter störte. In der dünnen und für Frauen in Sommerbekleidung doch recht kühlen Luft, sahen sie allerdings nicht sehr glücklich aus. Einige rauchten - genau darüber kann ich mich nur wundern, schließlich hat man auch bei relativ ebener Wegführung ein paar Schwierigkeiten mit der Atmung.

Auf dem Rückweg, der etwa zweieinhalb Stunden dauerte wurden meine Kopfschmerzen stärker, ich war wohl doch etwas zu lange "oben" gewesen und nicht ausreichend gut auf die Höhe eingestellt. Somit gab ich das Vorhaben, nach El Medano zum Baden zu fahren zugunsten einer ausgieben Siesta in Vilaflor auf. Eigentlich wollte ich auch etwas essen, bekam aber nichts herunter. Beim Gedanken an mein Fenchelbrot wurde mir nämlich jetzt tatsächlich schlecht. Ich wollte etwas schlafen aber die Kopfschmerzen waren so stark, dass ich einfach nicht einschlafen konnte. Gegen 18:45 schlief ich dann dennoch ein und wachte nach sehr kurzem und tiefen Schlaf wieder auf. Die Kopfschmerzen waren weg und mir ging es richtig gut. Draußen war es noch hell. Morgen würde ich von Vilaflor aus gegen 5:15 zum Nordflughafen starten, von wo aus ich nach La Gomera fliegen würde. Ich packte und ging in das Dorf. Hier kaufte ich etwas zu schreiben und zwei Dorada für den Abend.

Auf dem Weg zum Teide und zurück traf ich folgende Menschen:

Ein Paar - Ende vierzig - was sich wirklich sehr quälte. Ich überholte sie bereits in der Nähe der Einstiegsstelle. Als ich bereits auf dem Rückweg war, hatten sie es gerade bis zur Refugio Altavista geschafft. Da beginnt das anspruchsvollste Wegstück aber erst: dünne Luft, Geröll und steil. Der Typ wurschtelte die ganze Zeit an seinem affigen Palm herum, die Frau war damit beschäftigt, zu überleben.

Eine gut ausgerüstete tschechische Wandergruppe begegnete mir auf ihrem Abstieg an der Refugio Altavista. Die sind in aller Herrgottsfrühe von dort gestartet und haben den Sonnenaufgang am Teidegipfel erlebt. Das waren ganz nette Leute, die wohlgemerkt ohne die lästige Permisio "oben" waren (wie gesagt, die Ranger bewachen den Einstieg von 9:00 bis 16:00, davor bzw. danach kann man alles machen). Zur "Dienstzeit" laufen allerdings überall in den Canadas Ranger herum und passen auf, dass man keine Blümchen pflückt.

Zum Abschluss meines kurzen Teneriffaaufenthalts trank ich mein Bier und schlief ein.

Alle Bilder sind von Thomas Hering. Sie können für nicht komerzielle Zwecke und unter Verweis auf den Urheber kostenfrei verwendet werden.